Die Osteoporose ist eine häufig auftretende Alterserkrankung des Knochens. Durch einen übermäßig schnellen Abbau der Knochensubstanz und Knochenstruktur wird der Knochen anfällig für Brüche. Die auch als Knochenschwund bekannte Krankheit kann das gesamte Skelett des Menschen betreffen.
Osteoporose wird in den meisten Fällen mit einer antiresorptiven Therapie behandelt, wobei Bisphosphonate und Denosumab eingesetzt werden. Der durch Osteoporose verursachte Knochenverlust lässt sich zwar nicht vollständig rückgängig machen, doch vor allem die Frakturen und damit deren Folgen können vermieden werden. Da die Osteoporose an sich nicht heilbar ist, erfolgt die Medikation meist über einen langen Zeitraum hinweg oral oder intravenös und wird auf den Grad des Knochenverlustes, die Art der Osteoporose und die Stärke des Knochenumsatzes ausgerichtet.
Leider kann die antiresorptive Therapie aber auch gravierende Nebenwirkungen haben. Millionen von Osteoporose-Patienten werden mit Bisphosphonaten oder Denosumab behandelt, um die Knochen zu stärken. Im Kiefer können die Wirkstoffe jedoch manchmal das Gegenteil bewirken und den Knochen schwächen – es kommt zu einer Osteonekrose des Kiefers. Mit vorbeugenden Maßnahmen lässt sich das Risiko für eine solche Nekrose senken.
Die Wirkung der Antiresorptiva in der Osteoporose-Therapie
Bisphosphonaten und Denosumab (z.B. unter den Produktnamen Prolia oder XGeva am Markt) hemmen den Knochenstoffwechsel, insbesondere den Abbau und Umbau von Knochen. Deshalb wird eine Therapie mit diesen Medikamenten auch als antiresorptive Therapie bezeichnet. Sie bewirkt bei Osteoporose-Patienten einen Rückgang der Komplikationen am Skelett, wie Frakturen. Der Vollständigkeit sei erwähnt, dass Bisphosphonaten und Denosumab auch unterstützend in der Krebstherapie bei Patienten mit Knochenmetastasen eingesetzt werden. Auch hier verbessern sie die Lebensqualität, da sie das Auftreten von Brüchen, Schmerzen oder Hyperkalzämie vermindern. Zum Einsatz kommen sie zudem in der Therapie des Morbus Paget.
Schwäche statt Stärke: Kiefernekrose als mögliche Nebenwirkung der antiresorptiven Therapie
Bei hochwirksamen Arzneimitteln sind unerwünschte Nebenwirkungen meist nicht auszuschließen. Das ist leider auch bei Antiresorptiva so. Bei oral verabreichten Antiresorptiva kann der Magen mit Unverträglichkeiten reagieren, was ja bei vielen Medikamenten der Fall ist. Weitaus ernster sind die durch Bisphosphonate oder Denosumab bedingten Osteonekrosen (Knochennekrosen), die im Kiefer auftreten können – kurz auch Kiefernekrosen genannt.
Von einer Nekrose spricht man, wenn in einem lebenden Organismus an einer Stelle die Zellen so stark geschädigt werden, dass sie absterben und zerfallen. Zurück bleibt totes, abgestorbenes körpereigenes Gewebe. Neben der antiresorptiven Therapie gibt es noch andere Ursachen für Nekrosen. Es kommt jedoch immer zum Absterben der Zellen durch eine Unterbrechung der Blutzufuhr – das Gewebe wird nicht mehr mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und stirbt ab.
Eine Nekrose am Kiefer, ein Rückgang des Knochengewebes, tritt nicht als sich langsam entwickelnde Folge von Bakterien auf, wie etwa bei einer fortgeschrittenen Parodontitis, sondern spontan. Kiefernekrosen als Nebenwirkung von Bisphosphonaten oder Denosumab sind zwar selten, doch wenn sie auftreten, können sie zu gravierenden Problemen bei zahnmedizinischen Behandlungen führen. Bei Denosumab liegt das Risiko etwas niedriger als bei den Bisphosphonaten.
Bisphosphonat-assoziierte Kiefernekrosen wurden im Jahr 2003 erstmals beschrieben. Die Patienten, die mit Bisphosphonat behandelt werden, haben unterschiedliche Risikoprofile. Bei Osteoporose-Patienten geht man dem aktuellen Wissensstand nach davon aus, dass 0,1 bis 1 Prozent von Kiefernekrosen betroffen sind. Bei Krebspatienten mit Knochenmetastasen oder Knochenmarkserkrankungen lieg das Risiko deutlich höher, bei bis zu 20 Prozent, was auch auf die wesentlich höhere Applikationsfrequenz zurückzuführen ist. Wie es zu dieser Nebenwirkung kommt, ist noch nicht abschließend entschlüsselt. Derzeit geht man davon aus, dass zwei Einflussfaktoren zusammenwirken: die Bisphosphonate und Entzündungen im Mundbereich, von denen Millionen von Menschen betroffen sind. Grund hierfür ist, dass aufgrund der Entzündungen Bakterien eindringen können. Diese Mikroorganismen wirken mit dem Bisphosphonat derart zusammen, dass es zu einem Absterben des Kieferknochens kommen kann.
Kiefernekrosen: Die Symptome
Zahnmediziner sprechen von einer durch Bisphosphonate oder Denosumab assoziierten Kiefernekrose, wenn Teile des Kieferknochens über einen Zeitraum von mindestens acht Wochen hinweg freiliegen und nicht heilen. Die möglichen Symptome der Kiefernekrose sind:
- Schwellungen oder Fisteln im Mundraum
- Sensibilitätsstörungen in der Unterlippe
- Starker Mundgeruch
- Lockerung der Zähne und/oder des Zahnersatzes
- Starke Schädigung der Kieferknochen
Kommt es zu einer sehr starken Schädigung des Kieferknochens, so kann der betroffene Patient ganze Kieferabschnitte verlieren. Und im schlimmsten Fall ist nur noch ein gräuliches, mineralisiertes Gerüst anstelle eines funktionsfähigen Kieferknochens übrig. Die Nekrose wirkt sich auch in weniger extremen Fällen negativ auf die Lebensqualität aus, denn sie erschwert das Kauen, Schlucken und Sprechen.
Die Therapie: langwierig und aufwendig
Die Kiefernekrose kann behandelt werden, leider ist die Therapie jedoch aufwendig und langwierig. In weniger schweren Fällen kann eine konsequente Behandlung mit Mundspüllösungen und Antibiotika helfen. Bei schwerwiegenden fortgeschrittenen Kiefernekrosen kann eine Therapie im Krankenhaus notwendig sein. Der abgestorbene Kieferknochen wird operativ abgetragen, Knochenhaut sowie Schleimhaut werden vernäht. Im Anschluss kann eine chirurgische Rekonstruktion des Kiefernknochens, etwa mit 3D-Knochenaufbau, durchgeführt werden. Die vollständige Herstellung des gesunden Zustandes ist nicht immer möglich. Bei der Behandlung von Kiefernekrosen müssen Arzt und Zahnarzt eng zusammenarbeiten, um den Betroffenen bestmöglich betreuen zu können.
Der bessere Weg: Vorbeugung! Vor der antiresorptiven Therapie zum Zahnarzt
Die Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMK) macht sich für die Vermeidung einer durch Bisphosphonate verursachten Kiefernekrose stark. Grundlegend ist dabei die Aufklärung des Patienten über das Risiko noch vor Beginn einer Therapie mit Bisphosphonaten sowie der dringende Rat, vor der Behandlung den Zahnarzt aufzusuchen – unabhängig vom persönlichen Risikoprofil. Denn mit speziellen Maßnahmen lassen sich Risiken minimieren und Komplikationen vermeiden. Auch wenn das Risiko einer Osteonekrose bei Denosumab niedriger ist, sind diese Maßnahmen auch bei dieser Wirkstoffgruppe unbedingt anzuraten. Mehr hierzu
Primärprophylaxe beim Zahnarzt vor antiresorptiver Therapie mit Bisphosphonaten oder Denosumab
Gesamtheitliches Ziel der Prophylaxe ist eine dentale Sanierung inklusive der Beseitigung möglicher Eintrittspforten für Bakterien im Mund und am Kiefer. Um dies zu erreichen, sollten unten stehende Maßnahmen vor Beginn der antiresorptiven Therapie durchgeführt werden, mit Ausnahme der nachfolgenden regelmäßigen Kontrollen. Die vollständige Abheilung des Zahnfleisches sollte ebenfalls vor der Behandlung sichergestellt werden.
Zu den vorbeugenden zahnärztliche Maßnahmen vor der Bisphosphonat- oder Denosumab-Therapie zählen:
- Beseitigung von bereits bestehende Infektionen im Mund, z.B. durch Wurzelkanalbehandlung und regelmäßige parodontale Therapie
- Entfernung von nicht erhaltungswürdigen Zähnen
- Behandlung von Periimplantitis an erhaltungswürdigen Implantaten
- Prüfung auf Druckstellen und gegebenenfalls Beseitigung der Druckstelle
- Beseitigung von möglichen Infektionsstellen, etwa abstehende Kronenränder
- Regelmäßige Kontrolle und Unterstützung durch vorbeugende dentalhygienische Maßnahmen, wie Professionelle Zahnreinigung
Zahnbehandlungen während und nach einer antiresorptiven Therapie
Wie bereits oben im Rahmen der Prophylaxe erwähnt, sollten die Patienten auch begleitend zu einer Bisphosphonat- oder Denosumab-Therapie regelmäßige zahnärztliche Kontrolltermine wahrnehmen, dentalhygienische Maßnahmen durchführen lassen und Mundhygiene-Instruktionen gewissenhaft zuhause umsetzen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um eine Kiefernekrose zu vermeiden, denn damit kann eine infektfreie dentale Situation erreicht werden, wodurch das Risiko für eine Nekrose minimiert wird.
Es ist jedoch nie ganz auszuschließen, dass auch während der antiresorptiven Therapie bei Osteoporose-Patienten eine Kieferknochen-Intervention notwendig wird. In diesem Fall muss mit größter Sorgfalt vorgegangen werden. Hierfür stehen unterschiedliche Maßnahmen zur Verfügung. So kann der behandelnde Zahnarzt beispielsweise vor dem Eingriff eine Antibiotikatherapie beginnen und diese danach für einen ausreichenden Zeitraum fortführen. Zudem können beim Schließen der Wunde zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen angewendet werden, wie das speicheldichte Verschließen. Auch die Einnahme von Vitamin D über mehrere Wochen hinweg, vor und nach dem Eingriff, kann die Knochenheilung unterstützen. Und spezielle Mundspülungen, die der Patient selbst durchführen kann, können zur Wundheilung beitragen.
Zahnbehandlungen bei hohem Risiko für Kiefernekrosen
Ist das Risiko für eine Kiefernekrose bei Patienten mit laufender Bisphosphonat- oder Denosumab-Therapie hoch, so muss sorgfältig abgewogen werden, ob bestimmte zahnärztliche Eingriff durchgeführt werden oder ob darauf verzichtet werden sollte. Zu solchen Eingriffen zählen beispielsweise die Extraktion nicht beherdeter Zähne, Wurzelspitzenresektionen und das Setzen von Zahnimplantaten.
Zu den Faktoren, die das Risiko einer Nekrose zusätzlich erhöhen zählen Therapien mit Kortikoid- oder Protonenpumpenhemmer, Diabetes, Blutzellveränderung, Schilddrüsenerkrankung, KHK, Rheumatoide Arthritis, COPD oder auch Rauchen. Das individuelle Risikoprofil wird also durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Ging man früher davon aus, dass das Risiko von der Verabreichungsform (intravenös oder oral) abhängt und eine Einteilung in die beiden Risikogruppen Tumor- und Osteoporose-Patient ausreichend sei, muss das Risikoprofil nach heutigem Wissensstand sehr viel differenzierter betrachtet werden. Patienten mit Mamma- oder Prostata-Karzinom erhalten oftmals eine Hormontherapie, durch die sich eine sekundäre Osteoporose entwickeln kann. Wird hier die Osteoporose als Indikation der antiresorptiven Therapie angenommen, so kann das Risikoprofil zu niedrig eingestuft werden. Und wenn andrerseits die Osteoporose die Primärerkrankung ist und Bisphosphonate intravenös gegeben werden, kann die Einschätzung des Risikoprofils zu hoch ausfallen.
Kommunikation, Vorbeugung, Kontrolle: Wirksame Zutaten gegen die Kiefernekrose
„Keine Wirkung ohne Nebenwirkung“. Diese Aussage hört und liest man häufig, und es ist viel Wahres dran. Für Osteoporose-Patienten kann eine antiresorptive Therapie ein großer Segen sein und eine Verbesserung der langfristigen Lebensqualität bedeuten. Verzichtbar scheinen Bisphosphonate und Denosumab derzeit kaum. Doch leider wurden in den letzten Jahren bei den Betroffenen auch Kiefernekrosen festgestellt, die mit diesen Behandlungen in Zusammenhang stehen.
Mit den geeigneten Vorsichtsmaßnahmen können alle Beteiligten viel dafür tun, das Risiko einer Kiefernekrose zu minimieren: die behandelten Ärzte, die eine antiresorptive Therapie anstreben oder durchführen, der Zahnarzt oder Kieferchirurg – und letztendlich auch der Betroffene selbst. Grundvoraussetzung hierfür ist ein Austausch und eine gute Kommunikation zwischen den genannten Beteiligten. Mehr zur Risikoprofilanalyse hier.
Sollten Sie betroffen sein, so raten wir Ihnen, die Empfehlungen Ihres Arztes unbedingt zu beachten und Ihre Zahnsituation vor einer Bisphosphonat- oder Denosumab-Therapie in einen idealen Zustand bringen zu lassen. Auf jeden Fall sollten Sie Ihren Zahnarzt immer über eine laufende oder anstehende antiresorptive Therapie informieren. Dann können bei den Zahnarztbehandlungen die notwenigen besonderen Maßnahmen ergriffen werden. Dies gilt sowohl für die Vermeidung einer Kiefernekrose als auch für deren Früherkennung, um die Behandlung möglichst schnell beginnen zu können.
Ihr Dr. Marc Hinze